Der EuGH zur Zulässigkeit der Fehlerberichtigung durch Dekompilierung

Der EuGH zur Zulässigkeit der Fehlerberichtigung durch Dekompilierung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 6. Oktober 2021 entschieden (Rechtssache C-13/20), dass ein rechtmäßiger Käufer von Software berechtigt ist, das Computerprogramm ganz oder teilweise zu dekompilieren, um Fehler, die das Funktionieren der Software beeinträchtigen, zu berichtigen.  Dies schließt den Fall ein, dass die Berichtigung darin besteht, eine Funktion zu deaktivieren, die das ordnungsgemäße Funktionieren einer Programmanwendung beeinträchtigt. Die Dekompilierung darf jedoch nur in dem für die Berichtigung erforderlichen Ausmaß und gegebenenfalls unter Einhaltung der mit dem Inhaber des Urheberrechts an diesem Programm vertraglich festgelegten Bedingungen vorgenommen werden.

Kurz sei erklärt, was Dekompilierung ist: Ein Computerprogramm wird ursprünglich in Form eines „Quellcodes“ in einer verständlichen Programmiersprache abgefasst, bevor es mittels eines als „Compiler“ bezeichneten speziellen Programms in eine für den Computer ausführbare Form, den „Objektcode“, umgewandelt wird. Der Vorgang der Umwandlung des Quellcodes in den Objektcode wird „Kompilierung“ bezeichnet. Umgekehrt wird mit der „Dekompilierung“ der Ouellcode eines Programms aus seinem Objektcode rekonstruiert. Unter Dekompilieren versteht man somit den Vorgang des Rückübersetzens von Maschinencode in menschenlesbaren Quellcode. Die Dekompilierung erfolgt mittels eines als „Decompiler“ bezeichneten Programms.

Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung war ein Rechtsstreit zwischen dem belgischen IT-Unternehmen Top System SA (im Folgenden „Top System“) und dem belgischen Staat (bzw. der Behörde der Selor, dem Auswahlbüro der Föderalverwaltung Belgiens). Top System entwickelte für die belgische Behörde mehrere IT-Anwendungen und räumte dieser eine (einfache) Nutzungslizenz daran ein. Als Funktionsprobleme bei einigen Anwendungen, die von der Selor genutzt wurden, auftraten, die von Top System nicht behoben werden konnten, nahm die Behörde eigenmächtig eine Dekompilierung der Software vor.

Daraufhin klagte Top System auf Feststellung, dass die Behörde unter Verletzung seiner Ausschließlichkeitsrechte, die Software dekompiliert hatte, sowie auf Schadenersatz. Das Gericht erster Instanz in Brüssel wies die Klage ab, woraufhin Top System Berufung beim Appellationshof Brüssel erhob. Dieser beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH sollte klären, ob der rechtmäßige Erwerber eines Computerprogramms berechtigt ist, dieses zur Fehlerbehebung zu dekompilieren.

Der EuGH hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Nach Art. 4 lit. a der Richtlinie 91/250 (Computerprogramm-Richtlinie) hat der Inhaber des Urheberrechts an einem Computerprogramm, vorbehaltlich der in den Art. 5 und 6 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen, das ausschließliche Recht, die dauerhafte oder vorübergehende Vervielfältigung dieses Programms ganz oder teilweise mit jedem Mittel und in jeder Form vorzunehmen oder zu gestatten. Art. 4 lit. b der Richtlinie 91/250 gewährt dem Rechtsinhaber das ausschließliche Recht, die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen eines Computerprogramms sowie die Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse vorzunehmen oder zu gestatten.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/250 bestimmt, dass in Ermangelung spezifischer vertraglicher Bestimmungen die in Art. 4 lit. a und b dieser Richtlinie genannten Handlungen nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers bedürfen, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms einschließlich der Fehlerberichtigung durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig sind.

Nach Art. 6 („Dekompilierung“) der Richtlinie 91/250 ist die Zustimmung des Rechtsinhabers auch dann nicht erforderlich, wenn die Vervielfältigung des Codes oder die Übersetzung der Codeform unerlässlich ist, um die erforderlichen Informationen zur Herstellung der Interoperabilität eines unabhängig geschaffenen Computerprogramms mit anderen Programmen zu erhalten, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Da sich die Dekompilierung als solche nicht unter den in Art. 4 lit. a und b der Richtlinie 91/250 genannten Handlungen, auf die sich deren Art. 5 Abs. 1 bezieht, findet, war zu prüfen, ob die für die Dekompilierung eines Computerprogramms erforderlichen Handlungen in den Anwendungsbereich von Art. 4 lit. a und/oder b dieser Richtlinie fallen können.

Dazu hat der EuGH, der sich den Ausführungen des Generalanwalts Maciej Szpunar angeschlossen hat, festgehalten, dass die Dekompilierung eine Umwandlung der Form des Codes eines Programms darstellt, die eine zumindest teilweise und vorübergehende Vervielfältigung des Codes sowie eine Übersetzung seiner Form impliziert. Der EuGH kam folglich zum Ergebnis, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/250 dahin auszulegen ist, dass der rechtmäßige Erwerber eines Programms berechtigt ist, dieses Programm zu dekompilieren, um Fehler, die dessen Funktionieren beeinträchtigen, zu berichtigen. Diese Auslegung wird nach Ansicht des EuGHs nicht durch Art. 6 der Richtlinie 91/250 in Frage gestellt, der nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die Dekompilierung eines Computerprogramms nur zu Interoperabilitätszwecken zulässig ist.

Die oben genannte  Auslegung wird durch Art. 6 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 91/250 bestätigt, der es u.a. verbietet, dass die aufgrund einer solchen Dekompilierung gewonnenen Informationen zu anderen Zwecken als zur Herstellung dieser Interoperabilität oder zur Entwicklung ähnlicher Programme verwendet werden, und der es auch allgemein ausschließt, dass die Dekompilierung in einer Weise vorgenommen wird, die die rechtmäßigen Interessen des Rechtsinhabers in unvertretbarer Weise beeinträchtigt oder im Widerspruch zur normalen Nutzung des betreffenden Computerprogramms steht.

Um zukünftig Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Dekompilierung von lizenzierter Software zu vermeiden, empfiehlt es sich, das Verfahren zur Behebung von Softwarefehlern in den Lizenz- und Vertragsbestimmungen zu regeln. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit der Fehlerbehebung nicht gänzlich ausschließen dürfen.

Zuletzt bleiben zwei Dinge abzuwarten: Nämlich, ob die Stadt München vor den EU-Gerichten (EuG und EuGH) die Nichteintragung der noch ausständigen Nizza-Klassifikationen (allen voran Bier und Festorganisation) anfechten wird und dass 2022 uns hoffentlich ein Oktoberfest ermöglicht.


DISCLAIMER

Dieser Blog stellt lediglich eine allgemeine Information und keine rechtsanwaltliche Beratung dar. Schindler Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität des Blogs. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen.

Dr. Philipp Spring