Urheberrecht: Wann gibt ein Foto als nicht mehr öffentlich zugänglich?

Urheberrecht: Wann gilt ein Foto als nicht mehr öffentlich zugänglich?

Im Zeitalter der Digitalisierung ist eine (auch unbewusste) Urheberrechtsverletzung schnell begangen. Darunter versteht man, wie der Name schon impliziert, einen Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz (UrhG). Tatbildlich ist etwa das unrechtmäßige Anfertigen, Nutzen und Verbreiten von (digitalen) Kopien von einem Werk. Ein Werk im Sinne des UrhG kann z.B. ein Buch, Bild, Film, Computerprogramm oder eine Musikdatei sein. Der Urheber kann nach Bekanntwerden einer solchen Verletzung u.a. auf Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz klagen. Bevor in Deutschland eine Klage eingebracht wird, muss der Verletzende ordnungsgemäß abgemahnt werden (im Unterschied zu Österreich, wo dieses Erfordernis nicht besteht). In dem versendeten Abmahnschreiben wird in aller Regel eine zu unterzeichnende Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung mitgeschickt, welche bei digitalen Inhalten u.a. die Verpflichtung umfasst, die öffentliche Zugänglichmachung des Inhalts zu beseitigen. Dieses Erfordernis wirft oftmals Fragen auf, zumal nicht immer klar ist, wann ein Inhalt als öffentlich zugänglich gilt.

Der deutsche Bundesgerichtshof (kurz BGH) hat in seiner Entscheidung vom 27.05.2021 (I ZR 119/20) klargestellt, dass nach Eingabe einer 70-stelligen URL-Adresse eine öffentliche Zugänglichmachung eines digitalen Inhalts im Sinne des dUrhG nicht vorliegt. Da die Entscheidung im Wesentlichen auf Grundlage von Unionsrecht beruht, könnte sie auch für Österreich von Relevanz sein.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein Berufsfotograf und hier gegenständlicher Kläger hat erfahren, dass der Beklagte mehrere seiner Lichtbilder zur Bewerbung von Lautsprechern auf der Handelsplattform „eBay Kleinanzeigen“ verwendet hat. Nach erfolgter Abmahnung verpflichtete sich der Beklagte, es zu unterlassen, die Lichtbilder der Öffentlichkeit im Internet ohne Zustimmung des Berufsfotografen zugänglich zu machen.

Der Beklagte unternahm zwar die Löschung, jedoch blieben die Foto-Dateien weiterhin, und zwar nach Eingabe einer aus ungefähr 70 Zeichen (Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern) bestehenden URL-Adresse, erreichbar. Daraufhin verlangte der klagende Berufsfotograf erneut Unterlassung sowie Zahlung einer Vertragsstrafe. Das Landgericht sowie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wiesen die Klage bzw. Berufung des Klägers ab. Schließlich zog der Kläger mit einer Revision vor den BGH.

Der BGH wies die Revision zurück, da die Abrufbarkeit des Fotos unter einer aus ungefähr 70 Zeichen bestehenden URL-Adresse als keine öffentliche Zugänglichmachung zu qualifizieren ist Hierbei ist auf einen prozessrechtlichen Unterschied zwischen Deutschland und Österreich hinzuweisen, zumal bei einer inhaltlichen Befassung mit der Revision in Österreich diese als unbegründet abgewiesen worden wäre und eine Zurückweisung nur beim Fehlen formeller Voraussetzungen in Frage kommen würde.  

Gemäß § 19a dUrhG (das österreichische Pendant ist in § 18a öUrhG geregelt – das Zurverfügungstellungsrecht) handelt es sich bei der öffentlichen Zugänglichmachung um dasdrahtgebundene oder drahtlose zugänglich machen eines Werkes in einer Weise, dass Mitglieder der Öffentlichkeit von Orten und Zeiten ihrer Wahl darauf zugreifen können.

Der § 19a dUrhG muss laut BGH in Einklang mit dem Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG (Urheberrechtsrichtlinie) ausgelegt werden. Dort wird die öffentliche Wiedergabe als Überbegriff der öffentlichen Zugänglichmachung genannt. Nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (kurz EuGH) spricht man von Öffentlichkeit, wenn eine unbestimmte Zahl an potentiellen Adressaten vorliegt und es sich dabei um „recht viele Personen“ handelt. Eine unbestimmte Zahl an potentiellen Adressaten liegt vor, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt und somit nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (EuGH, C-135/10 – SCF). Mit „recht viele Personen“ meint der EuGH, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthält und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (EuGH, C-160/15 – GS Media BV).

Unter Zugrundelegung der oben genannten Judikatur ging der BGH, wie bereits die beiden Vorinstanzen, davon aus, dass es an der Zugriffsmöglichkeit für „recht viele Personen“ gefehlt hat. Aufgrund der Notwendigkeit der Eingabe einer 70-stelligen URL-Adresse, beschränkt sich der relevante Personenkreis faktisch auf diejenigen Personen, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der eBay-Anzeige des Beklagten frei zugänglich gewesen ist – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden ist.

Zukünftig wird (zumindest in Deutschland) ein Kläger, der sich auf einen Verstoß allein durch Abrufbarkeit eines Werkes nach Eingabe einer langen URL-Adresse stützt, konkret darlegen und beweisen müssen, dass „recht viele Personen“ die realistische Möglichkeit hatten, auf das Werk zuzugreifen. Die bloße Behauptung einer Auffindbarkeit über Suchmaschinen wird wohl nicht mehr ausreichen, sondern es wird eine konkrete Darlegung notwendig sein, dass die Datei von gängigen Suchmaschinen indexiert und Nutzern auch tatsächlich als Suchbegriff präsentiert wurde.


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Dr. Philipp Spring